Drei Parteien, davon zwei Unternehmen und eine Erbenfamilie, müssen sich über die Mehrheitsverteilungen in einem der Unternehmen und natürlich über die damit einhergehenden Konsequenzen einigen. Eine dem Grunde nach übliche Verhandlung in der Geschäftswelt.
Aber von Vorne. Die Firma Sika ist ein Schweizer Unternehmen, an dem eine Erbenfamilie sowie ein französischer Konzern (SaintGobain) Anteile hält. Für alle Nicht-Betriebswirtschaftler sollte hervorgehoben werden, dass die Höhe der Anteile an einem Unternehmen auch die Höhe der Einflussmöglichkeit auf strategische Entscheidungen beinhaltet. Der Aktionär mit einer Stimmenmehrheit kann leichter den Takt vorgeben.
Die Erbenfamilie beschloss, sich aus der Unternehmung herauszuziehen, wollte aber den Fortbestand Sikas nicht gefährden. Das Naheliegendste war es, sich mit dem zweiten Großaktionär SaintGobain über den Verkauf dieser Anteile zu einigen. Was auch geschah. Die Konditionen des Deals waren zeitlich limitiert, was üblich ist. Die Familie hatte also zwei Interessen: sie wollte den Fortbestand der Schweizer Firma nicht gefährden und finanziell attraktiv aus dem Rückzug kommen. Inwiefern die finanziellen Interessen die Fortbestandswünsche übertrafen gibt der Artikel nicht her. Da es sich aber um eine Erbenfamilie handelte, gehe ich davon aus, dass die monetären Bedürfnisse die erste Priorität genossen.
SaintGobain war dem Deal natürlich wohl gesonnen, da sie dadurch ihren Einfluss bei Sika stärken und einen Sitz im Aufsichtsrat fordern könnten. Die Interessen des französischen Unternehmens waren demzufolge Machtausbau und Einflussgewinn, sowie höhere Renditen durch mehr Anteile.
Die Führung der Firma Sika war die dritte Partei in der Verhandlung, die sich wahrscheinlich - im Vergleich zu den restlichen zwei Playern - in der schwächeren Position fühlte. Sie wollten selbstverständlich den Fortbestand des Geschäfts sichern, aber auch das Unternehmen mehrheitlich in Schweizer Hand sehen. Die Interessen Sikas waren der Erhalt der Eigenständigkeit und die Wahrung der schweizerischen Mehrheitsanteile.
Soweit so gut. Was kam raus? Die Erbenfamilie erhält viel mehr Geld (Prio 1), der französische Konzern bekommt mehr Anteile - und somit mehr Rendite (Prio 1), aber keinen Sitz im Verwaltungsrat. Sika behält seine Eigenständigkeit und kann die Aktien der Franzosen bevorzugt kaufen (Prio 1).
Meines Erachtens nach ist der Deal für Sika am suboptimalsten. Sie bezahlen sehr viel Geld, um einen Sitz SaintGobains im Verwaltungsrat und eine Mehrheit der Franzosen zu verhindern. Dass eine 52%ige Stimmenmehrheit eines einzelnen Aktionärs für jedes Unternehmen problematisch ist, versteht sich von selbst. Doch der Verzicht auf den Verwaltungsrat haben sich die Schweizer mehr als teuer erkauft. Hier wäre es interessant zu wissen, wie viele Sitze der Verwaltungsrat hat und wie sich diese zusammensetzen. Wäre es wirklich (Geschäfts)Welt verändernd gewesen, wenn SaintGobain einen Sitz im Gremium erhalten hätte? Ich bezweifle das sehr. Fraglich bleibt auch, ob SaintGobain die Forderung als ernsthafte Priorität betrachtete oder ob es sich um eine „Dummy-Forderung“ handelte, da sie ahnten, wie die Schweizer Mitbürger auf subjektiv empfundenen drohenden Kontrollverlust reagieren würden
Betrachtet man das Ergebnis nüchtern (siehe Kasten oben), haben alle drei Parteien ihre obersten Prioritäten erfüllt. Da kann man Sika faktisch nicht als besonderen „Sieger“ herausstellen.
Die Sprache des Artikels ist betont kampf- und siegesorientiert. Das mag wahrscheinlich daran liegen, dass der „Hauptprotagonist“, die Firma Sika, ein Schweizer Unternehmen ist und die Zeitung sich an Schweizer richtet. Es soll signalisieren: ein Angriff seitens der Franzosen (Firma SaintGobain) wurde erfolgreich abgewehrt. Vor dem Hintergrund dieser Botschaft verwundert die Sprache des Artikels nicht. Sie schafft aber auch keinen Mehrwert, im Gegenteil. Die sich hartnäckig in den Köpfen der Meisten haltenden Illusion, bei einer Verhandlung könne es nur einen Sieger geben, der Andere müsse zwangsläufig und mit wehenden Fahnen verlieren, wird verstärkt.
Ausdrücke wie „Schlachten“, Krieg vorüber“ und „Abwehrkampf“ sollen wohl dazu dienen, die Dynamiken im Verhandlungsprozess widerzuspiegeln. Vielmehr verstärken sie jedoch den Eindruck, dass sich die Schweizer Seite in einer schwächeren Position gefühlt hat, was sie de facto vermutlich nicht war.
Problematisch ist es auch, sich als „moralischer Sieger“ zu titulieren. Das teuer bezahlte Geld reicht scheinbar nicht aus, um sich subjektiv als Gewinner zu fühlen, da muss schon das ethische Imperativ her. Wenn eine der anderen Parteien den Artikel nicht wohl gesonnen liest, kann es zu Dissonanzen und zu sog. hard feelings kommen. SaintGobain wird bei der nächsten Verhandlung sicherlich nicht vergessen haben, dass sich Sika als „moralischer Sieger“ in der letzten Verhandlung wahrgenommen hat.
Zwar habe ich es an vielen Stellen bereits kritisch angemerkt, dennoch muss ich mich wiederholen und es auch hier tun: direkt nach einem Kompromiss zu streben ist nicht wirklich zielführend! Ein Kompromiss ist kein gutes Ergebnis. Für keine Seite. Punkt. Versuchen Sie eher, alle Beteiligten wirklich zu verstehen und streben Sie einen Konsens an. Dass der Autor „Kompromissfähigkeit“ als Nonplusultra der Schweizer darstellt finde ich bedenklich. Außerdem Widerspricht es meiner Erfahrung mit Schweizer Unternehmer, die ein sehr konsensorientiertes Grund-Mindset aufweisen.
Liebe Kollegen der schreibenden Zunft, eine polarisierende Sprache mag zwar gut für die Schlagzeilen sein, richtet aber auch Schaden bei der Einstellung zu Verhandlungen im Allgemeinen an. Ich bin mir sicher, dass diese Verhandlung bei richtigem und genauem Hinschauen so viele spannende Dynamiken, Wendungen und Moves beinhaltet hat, dass Sie allein durch die neutrale Darstellung dieser einen lesenswerten Artikel rausgebracht hätten.
Was jedoch nicht untergehen sollte ist die Tatsache, dass wir viel mehr Berichterstattung über erfolgreich abgeschlossene Verhandlungen brauchen! Liebe NZZ, danke für den Artikel! Wenn Sie weiteren Stoff für spannende Verhandlungen auf internationaler Ebene suchen – kommen Sie auf mich zu.
Originalartikel