Diese Situation erinnert mich an eine Parabel, die ich in Prof. Gino’s Buch „Sidetracked“ gelesen habe, und die ich mit Ihnen teilen möchte:
“Vor nicht allzu langer Zeit bin ich über eine alte chinesische Parabel gestoßen. Es geht um eine alte chinesische Frau, die zwei große Krüge besitzt. Beide Krüge sind an den Enden einer Stange angebracht und die Frau trägt diese hinter ihrem Nacken. Jeder Tag verläuft gleich. Sie läuft zu einem nahegelegenen Fluss, füllt beide Krüge mit Wasser und läuft wieder nach Hause. Als sie dort ankommt ist einer der Krüge voll, der zweite aber nur zur Hälfte mit Wasser gefüllt. Er hat einen Riss, sodass auf dem langen Heimweg Wasser verloren geht. Zwei Jahre lang bringt die alte Frau jeden Tag nur eineinhalb volle Krüge mit nach Hause, obwohl beide Krüge voll sein könnten.
Die zwei Krüge reagierten unterschiedlich auf diese Situation. Der ganze Krug war stolz auf seine Leistungen. Tagtäglich stellte er sicher, dass ein voller Krug nach Hause kam. Der Krug mit dem Riss fühlte sich hingegen schrecklich. Er schämte sich über seine Unzulänglichkeit und war enttäuscht, dass er die Aufgabe, für die er geschaffen wurde, nur halb erfüllen konnte.
Nach zwei Jahren entschied sich der Krug mit dem Riss, seine Gefühle mit der alten Frau zu teilen. „Ich schäme mich über mich selbst“ gestand er ihr, „mein Riss, wie Sie wohl bemerkt haben, erlaubt es mir lediglich die Hälfte des Wassers heil nach Hause zu bringen“. Die alte Frau war sich des Risses bewusst und lächelte den Krug an. Sie fragte ihn, ob ihm aufgefallen sei, dass auf seiner Seite des Weges Blumen wachsen würden und auf der Seite des ganzen Kruges nicht. Da sie von dem Riss wusste, hat sie sich entschieden Blumensamen am Wegesrand zu pflanzen und sie jeden Tag auf dem Heimweg zu wässern. „Zwei Jahre lang“, sagte sie ihm, „konnte ich frische Blumen vom Wegesrand pflücken und meinen Tisch schmücken. Ohne dass du so bist, wie du bist, hätte ich diese mein Haus nicht so schön dekorieren können“. Indem er sich zu sehr auf seine Unzulänglichkeit fokussierte , konnte der Krug mit dem Riss nicht erkennen, dass er täglich etwas Wertvolles vollbrachte. Er konnte den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Er war so sehr auf die Details seines Problems fokussiert, dass er das große Ganze übersah.
Kommen wir auf das eingangs geschilderte Beispiel zurück. Es ist wichtig sich dabei vor Augen zu führen, worum es in Verhandlungen geht. einen Mehrwert durch Kooperation zu schaffen und ein faires Stück des Kuchens für sich zu beanspruchen. Der Mehrwert i.H.v. 600 TEUR entsteht nur - und zwar ausschließlich – durch die Entscheidung beider Unternehmen zu fusionieren obwohl eine Partei viel Produktions-Know-how besitzt und die Andere keine effiziente Produktion besitzt. Hätten beide Unternehmen eine moderne Produktion, läge dieser Mehrwert gar nicht erst auf dem Verhandlungstisch. Sie als CEO könnten sagen: „Ich habe Verständnis, dass Ihre Forderung für Sie logisch klingt. Aber nur weil unsere Produktion so schlecht ist, können Sie Ihr Know-how einsetzen und den Mehrwert in dieser Höhe generieren. Wir sollten den Betrag hälftig aufteilen“.
Wenn es in einer Verhandlung heiß hergeht ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Ihr Fokus verengen wird. Seien Sie sich dessen bewusst und verlieren Sie das große Ganze nicht aus dem Blick. Nehmen Sie sich einen Kollegen, Partner etc. zur Seite, der Ihnen hilft stets das „big picture“ zu sehen.