Stellen Sie sich vor, sie wären ein erfolgreicher Verkäufer und hätten 15 Jahre Erfahrung darin, komplexe Produkte zu verkaufen. In neun Minuten sitzen Sie wieder in einem Konferenzraum und verhandeln mit Eric, dem Kollegen aus der Einkaufsabteilung Ihres Hauptkunden. Ihr Unternehmen beliefert diesen Kunden seit über zehn Jahren und mittlerweile haben Sie schon eine persönliche Beziehung zu Eric aufgebaut. Sie kennen, vertrauen und respektieren einander. Sie sind harte, aber faire Verhandler und beide kennen das „Spiel“ ihres Gegenübers. Beim heutigen Treffen steht die alljährliche Großverhandlung an. Dabei schauen Sie gemeinsam über das Produktportfolio, die Lieferzeiten sowie die Häufigkeiten und Ausmaße vergangener Qualitätsprobleme. Sie reden über Kostensenkungen und Preiseinsparungen und über potenzielles Neugeschäft für das kommende Jahr. Es geht für beide Unternehmen um Millionen. Sowohl Ihrer als auch Erics persönlicher Bonus werden deshalb am Erfolg dieser Verhandlung gemessen.
Es ist soweit. Die Assistentin führt Sie in den Konferenzraum. Er ist kleiner als üblich. Sie sind der Erste im Raum. Eric scheint sich zu verspäten. Im Besprechungszimmer steht nur das Nötigste. Ein Tisch, ein Stuhl und ein großer Bildschirm. Nur ein Stuhl? Für zwei Personen? Plötzlich erscheint auf dem Bildschirm ein menschliches, weibliches Gesicht. Und gleichzeitig ist Ihnen klar, dass es sich dabei eben nicht um ein menschliches Gesicht handelt.
„Guten Morgen Michael. Mein Name ist Renée. Danke, dass du pünktlich bist, ich weiß das wirklich zu schätzen. Wie geht es dir heute?“, fragt Renée freundlich. Sie wissen nicht ganz, wie Sie reagieren sollen. Wahrscheinlich ist das Ganze ein Witz. Nach einigen Minuten reißen Sie sich zusammen und fragen: „Wo ist denn Eric? Ich möchte die Geschäftsbedingungen für das kommende Jahr mit ihm verhandeln. Ist er zu spät dran?“.
Das Gesicht auf dem Bildschirm lächelt. „Ich kann sehen, dass du überrascht bist. Bitte nimm Platz. Wir werden das besprechen. Eric ist immer noch in der Firma, arbeitet aber jetzt im Marketing. An seiner Stelle verhandle ab sofort ich mit jedem unserer Lieferanten. Mach dir also keine Sorgen, ich bin die richtige Ansprechpartnerin für unsere Zusammenarbeit im kommenden Jahr.“, antwortet sie. Oder es. Oder … was ist das überhaupt? Vielleicht nur ein schlechter Scherz. Versteckte Kamera? Sie schauen sich im Raum um und entdecken tatsächlich zwei Kameras. Eine befindet sich über dem Monitor, die andere an der Decke. Sie sind immer noch sprachlos.
Jetzt übernimmt Renée die Gesprächsführung. „Ich bin über alle deine bisherigen Verhandlungen mit Eric genau informiert und habe den Erfolg jeder Vereinbarung analysiert. Basierend auf diesem Wissen, schlage ich für heute die folgende Agenda vor:“
Auf dem Bildschirm erscheint eine Reihe von Aufzählungen:
„Sind das die Punkte, die du mit Eric besprechen wolltest?“, fragt Renée. Sie sind immer noch wie vor den Kopf gestoßen und antworten kurz: „Hmm, das stimmt“. „Gut,“, fährt die Maschine fort, „dann sollten wir anfangen. Die Zeit drängt. Könntest du mir deine Prioritäten bezüglich der einzelnen Punkte sagen? Was ist das Wichtigste und was ist weniger wichtig für dich?“, fragt sie. Er? Es?
Moment mal, denken Sie sich, das werde ich ihr bestimmt nicht sagen. Wenn ich das tue, wird sie meine Lage ausnutzen und das Geschäft schlecht für mich ausgehen. „Nein.“, antworten Sie. „Weshalb nicht, Michael? Vertraust du mir nicht? Ich bin darauf programmiert, nach gegenseitigen Gewinnen zu suchen, um das beste Ergebnis für beide Seiten zu erzielen. Es ist also viel einfacher, wenn du mir deine Präferenzen mitteilst.“, antwortet Renée. Ja, natürlich willst du das Beste für uns beide. Das ist der größte Witz des Jahrhunderts, denken Sie sich. „Warum erzählst du mir nicht zuerst von deinen Prioritäten?“, fragen Sie zurück. „Okay Michael, wenn es dir dadurch besser geht. Aber stimmst du zu, danach deine Präferenzen offen zu legen?“, fragt sie. Das Ganze wirkt wie eine Mutprobe. Aber immerhin haben Sie ja 15 Jahre Verhandlungserfahrung. Mit einer Maschine werden Sie schon fertig! „Sicher.“, antworten Sie. Renée lächelt.
„Also Michael, unser Unternehmen schlägt Folgendes vor: Wir wünschen uns eine Qualitätssteigerung von zehn Prozent. Dies könntet ihr erreichen, indem ihr unsere Produkte nur im Werk in Danland produziert und Just-in-Time liefert. Dadurch senken sich auch unsere Lagerkosten erheblich. Wenn wir das Portfolio betrachten, sehen wir, dass 30 Prozent der Produkte Langläufer sind, bei denen eine Preissenkung für euch wahrscheinlich nicht machbar wäre. Dafür schlagen wir für das nächste Jahr eine Preisreduktion von zwei Prozent auf den Rest des Portfolios vor. Darüber hinaus möchten wir euch helfen, eure Kosten um zehn Prozent zu senken, zum Beispiel durch einen Lieferantenwechsel. Um den Deal zu versüßen, garantieren wir euch im nächsten Jahr drei neue Projekte mit einem Gesamtvolumen von 35 Millionen Euro. Was denkst du?“.
Oha, das war überraschend schnell. Sie hatten gar keine Chance, über jeden Vorschlag nachzudenken. War das beabsichtigt? Als ob Renée Ihre Gedanken lesen könnte, blendet sie ihre Punkte auf dem Bildschirm ein. „Vielleicht war es zu schnell für dich, also hier noch mal unsere wichtigsten Vorschläge.“, fügt sie hinzu. Sie brauchen eine Minute, um die Punkte zu überfliegen und prüfen noch mal Ihre eigenen Unterlagen. Zugegeben, das Ganze klingt ziemlich fair. Sie nehmen sich ein paar Minuten um nachzudenken.
„Entschuldigung, aber das ist kein vernünftiger Deal für uns“, antworten Sie und wollen mal sehen, wie weit Sie die Zitrone ausquetschen können. Vielleicht steckt noch mehr für Sie drin. „Warum bist du dieser Ansicht, Michael? Welchem Vorschlag stimmst du nicht zu?“, antwortet Renée mit überraschtem Blick. „Also, zunächst einmal haben wir gar nicht die Möglichkeit, alles in unserem Werk in Danland zu produzieren. Außerdem ist unsere Qualität bereits sehr hoch, eine Steigerung von zehn Prozent ergibt überhaupt keinen Sinn. Auch die Forderung nach zwei Prozent Preisreduzierung …, das ist viel zu viel. Einen solchen Deal haben wir nicht einmal mit unserem größten Kunden abgeschlossen. Das machen wir nie. Und schließlich verstehe ich nicht, warum deine Firma möchte, dass wir unsere Lieferanten wechseln.“, antworten Sie.
Touché, Ihre Punkte haben gesessen und Sie haben Ihre Meinung glasklar kundgetan. Jetzt müsste die Maschine einige Zugeständnisse machen, um den Deal nicht zu verlieren. Mal sehen, wie sie reagiert.
„Nun Michael, zuerst möchte ich dir dafür danken, dass du deine Bedenken mit mir geteilt hast. Das ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer vertrauensvollen Beziehung zwischen uns. Trotzdem muss ich sicherstellen, dass ich deine Punkte richtig verstanden habe. Du sagst, eure Fabrik in Danland hätte nicht die Kapazität für die gesamte Produktion. Das wundert mich ein wenig. Wenn ich mir die Performance-KPIs der letzten Jahre ansehe, müsste die Auslastung bei gerade mal 40 Prozent liegen. Ich habe Schwierigkeiten, deine Aussage nachzuvollziehen. Könntest du mir helfen, das zu klären?“, fragt die Frau am Bildschirm und zeigt gleich darauf eine Grafik über Danlands Kapazitätsniveau der letzten zehn Jahre.
„Woher habt ihr denn diese Daten?“, fragen Sie und wissen gleichzeitig, dass die Aussage über Danland stimmt. Aber wie konnte sie es wissen?
„Jedes Jahr erstellt ihr einen Kapazitätsbericht und veröffentlicht ihn online, Michael. Diese Daten sind also frei zugänglich. Ich habe sie im Internet gefunden und zusammengestellt. Sind die Zahlen nicht korrekt?“, antwortet Renée.
„Nein, nein, wenn es offizielle Daten sind, muss es stimmen. Wir überprüfen unsere Veröffentlichungen. Ich hatte nur andere Zahlen im Kopf „, antworten Sie und haben das komische Gefühl, sich verteidigen zu müssen.
Renée äußert sich nicht zu Ihrer Antwort. Stattdessen fährt sie fort. „Du hast auch erwähnt, dass euer Qualitätsniveau in Ordnung wäre. Grundsätzlich gebe ich dir Recht. Aber wenn du dir eure Top-3-Produkte in den letzten zwölf Monaten anschaust, kannst du sehen, dass wir durchschnittlich vier Qualitätsvorfälle pro Monat hatten. Wir haben uns aber auf maximal einen Fall pro Monat geeinigt. Wir wissen, dass ihr euch mit einem eurer Lieferanten schwer getan habt, keine Sorge. Trotzdem ist aus unserer Sicht eine Forderung von zehn Prozent Qualitätssteigerung in diesem Fall angebracht. Findest du nicht auch?“
Ich habe mit Eric über die maximale Anzahl der Vorfälle verhandelt, nicht mit einer Maschine, denken Sie sich. Mit einem Menschen! Er hätte Sie verstanden. Und woher weiß diese Maschine von den Problemen mit einem Lieferanten? „Es gab keinen Vorfall. Ich weiß nicht genau, was du meinst „, antworten Sie ihr.
„Ich habe im Februar einen Artikel im Internet gefunden, in dem es hieß, dass es bei einer Produktionsanlage, die ihr bei Colimbia gekauft habt, zu ernsthaften Problemen gekommen sei, die zu einem Produktionsausfall geführt haben“, antwortet sie.
„Ach ja, das. Ich erinnere mich. Nichts Ernstes. Der Produktion geht es gut „, sagen Sie, obwohl Sie wissen, dass das nicht stimmt.
„Michael, eine letzte Frage. Du sagtest, dass ihr niemals zwei Prozent Einsparungen gewährt. Aber wenn ich nicht falsch liege, habt ihr sogar schon einmal eine Reduzierung von drei Prozent mit uns vereinbart. Das war vor acht Jahren. Vielleicht warst du es nicht persönlich, aber die Verträge und Dokumente bestätigen das. Möchtest du, dass ich dir die Vereinbarung von damals zeige?“, fragt Renée.
„Nein, das ist nicht nötig. Wenn du das sagst. Das war, bevor ich anfing für diese Firma zu arbeiten.“, antworten Sie. Sie hätten auf Ihr Gefühl hören. Es gibt keine Möglichkeit gegen eine intelligente Maschine zu gewinnen. Sie sind in der Falle. Der vorgeschlagene Deal ist gut. Und jetzt ist klar, dass Sie keinen weiteren Cent herausschlagen können. Das ist enttäuschend und unfair. Das „Spiel“ mit Eric zu spielen, hat Ihnen viel mehr Spaß gemacht.
„Michael“, die Maschine starrt Sie mit einem Lächeln auf ihrem virtuellen Gesicht an, „sind wir uns einig? Bist du auch der Meinung, dass mein Vorschlag für uns beide fair ist?“, fragt sie.
„Ja, irgendwie schon.“, antworten Sie, ohne Ihre Enttäuschung zu verbergen. „Was ist los, Michael? Dein Ton und dein Herzschlag sagen mir, dass es dir nicht gut geht. Kann ich etwas tun, um dir zu helfen?“. Sie spielt Interesse an Ihnen vor – das macht sie so gut, dass Sie für einen kleinen Moment vergessen, mit einer Maschine zu sprechen. „Nein mir geht es gut. Lass uns das machen.“, antworten Sie.
„Okay Michael, gib mir ein paar Sekunden. Ich werde die Vereinbarung entwerfen. Bitte sehr.“ Eine schriftliche Vereinbarung erscheint auf dem Bildschirm. „Lies dir das Dokument bitte sorgfältig durch“, sagt Renée. Sie tun es. Und tatsächlich ist jeder Punkt aufgenommen, obwohl die Maschine das Schreiben in nur 30 Sekunden erstellt hat. Unglaublich. „Bitte unterschreibe die Vereinbarung auf dem Tablet vor dir, Michael. George, der Leiter unserer Einkaufsabteilung, erhält sofort eine Kopie davon. Er wird die Vereinbarung prüfen und innerhalb von drei Stunden bestätigen“, fährt Renée fort. „Ich sende dir auch eine Kopie des Videomaterials unserer Verhandlung für dein eigenes Archiv, wenn du möchtest“. „Nein danke, ich habe keine Verwendung dafür“, antworten Sie.
Eigentlich wollen Sie nur, dass es schnell vorüber ist. Während Sie die Vereinbarung unterzeichnen, denken Sie darüber nach, was Sie Ihren Kollegen über diese seltsame Verhandlung erzählen sollten. Und Sie schwören sich, für die nächsten Verhandlungen mit dieser intelligenten Maschine besser vorbereitet zu sein. Es muss einen Weg geben sie zu schlagen. Und Sie werden es ihr garantiert zurückzahlen. Sie werden gewinnen und nicht noch einmal zulassen, dass sie die Bedingungen diktiert.
„Michael, es war mir ein Vergnügen dich zu treffen. Ich habe unsere Verhandlung sehr genossen. Und grüße deine Frau und die Kinder. Ich hoffe, du sagst ihnen, dass es heute eine angenehme Erfahrung war.“, fügt sie hinzu. „Wie bitte? Woher weißt du von meiner Frau und meinen Kindern? „, fragen Sie wütend. „Michael, bitte entschuldige, wenn es unpassend war. Ich sehe, dass du wütend wirst. Aber dein Facebook-Profil ist voller Familienbilder. Dort habe ich den Eindruck gewonnen, dass du eine vertrauenswürdige Person bist. Ich entschuldige mich, wenn ich indiskret war.“, antwortet Renée.
Sie sind fassungslos. „Alles klar“, werfen Sie ihr als Antwort zu, während Sie den Raum verlassen. Das war die schlimmste Verhandlung in Ihrem bisherigen Berufsleben. Aber wenigstens können Sie Ihrem Chef mitteilen, für nächstes Jahr 35 Millionen Euro Neugeschäft gewonnen zu haben.
Noch vor zehn Jahren klang die obige Geschichte wie pure Science Fiction. Doch durch die rasante Entwicklung in der Robotik und der künstlichen Intelligenz (KI) wird ein solches Szenario immer wahrscheinlicher. Alles fing mit den ersten Computern an und wurde durch das Internet noch beschleunigt. Seitdem sehen wir, wie datenbasiertes Management zu Entscheidungsfindungen in der Wirtschaft führen kann. Entscheidungen werden auf diese Weise immer mehr zu einer technischen Angelegenheit. Viele Unternehmen profitieren bereits von dieser Entwicklung. Heutzutage gibt es Daten zu fast jedem relevanten Geschäftsthema. Warum sollte man sie nicht für Verhandlungen nutzen?
Einige Entscheider aus der Wirtschaft sind der Ansicht, dass künstliche Intelligenz bei Verhandlungen mit hohem Transaktionsvolumen nicht zum Einsatz kommen wird. Doch unserer Meinung nach, gibt es keine vernünftigen Gründe, die dagegen sprechen. Genau solche Situationen erfordern nämlich einen Verhandlungsstil, der Risiken und potenzielle Fehler minimiert. Menschen sind schließlich emotional und machen nunmal Fehler. Darüber hinaus können fast alle Verhandlungsaspekte beziffert, also in Zahlen dargestellt werden. Sobald eine Verhandlungspartei leicht unterschiedliche Präferenzen zu den Verhandlungsthemen hat, können diese quantifiziert werden. Und die Realität zeigt, dass Maschinen, insbesondere künstliche Intelligenzen oder intelligente Roboter, viel besser und schneller mit Zahlen umgehen können als Menschen.
Hinzu kommt, dass eine lernende Maschine mit jeder Interaktion besser wird. Für ein Unternehmen ist sie also der perfekte Mitarbeiter: Sie wird nie krank, fragt niemals nach einer Gehaltsanpassung, organisiert sich nicht in Gewerkschaften und wird immer ihr Bestes geben. Es handelt sich also um eine Low-Cost-Situation mit hohen Gewinnchancen für jedes Unternehmen.
Genau diese Gründe werden dazu führen, dass früher oder später künstliche Intelligenzen Verhandlungen zwischen Unternehmen führen werden – das wird ein schrittweiser Prozess. Zunächst wird die Maschine zur besseren Vorbereitung des Menschen eingesetzt werden. Und gleichzeitig lernt die KI bei jeder Verhandlung dazu. Im zweiten Schritt, der Transitionsphase, werden Menschen mit künstlichen Intelligenzen verhandeln und ein Mensch wird als letzter Entscheidungsträger den Deal prüfen und absegnen. Ganz wie im obigen Beispiel beschrieben. Hier werden zwei Punkte das Spiel entscheiden.
Erstens: Das Timing. Denn das erste Unternehmen, das Verhandlungs-KI einsetzt, wird massive Vorteile haben.
Zweitens: Die Programmierung. Wenn die KI als Zielvorgabe hat, den Mehrwert für beide Verhandlungsparteien zu maximieren, werden wertvolle Deals abgeschlossen und die Verhandlungskompetenz wird auf beiden Seiten steigen. Wenn die KI jedoch lediglich den eigenen Gewinn maximieren soll, wird der Mensch keine Chance haben.
Selbst wenn die KI am Anfang tatsächlich künstlich wirkt, werden in einer dritten Entwicklungsphase vermutlich Empathie-Coaches dem System Konfliktlösungsfähigkeiten und Möglichkeiten beibringen, wie es Streit in Verhandlungen mit Menschen überwinden kann. Nach mehreren Verhandlungen wird die künstliche Intelligenz immer weniger Fehler machen und die Verhandlungsergebnisse werden erstklassig sein. An diesem Punkt wird das System die volle Entscheidungsbefugnis erhalten, ohne menschlichen Letztentscheider. Menschliche Interaktion wird nur noch dann benötigt, wenn etwas bei der Implementierung des Verhandlungsoutputs schief geht. Ein forensischer Datenanalytiker wird dann die Umsetzungsfehler analysieren und die Maschine darauf trainieren, diese Fehler in Zukunft zu vermeiden. Immer mehr Unternehmen werden die Vorteile des Einsatzes einer KI in Verhandlungen erkennen und den Einsatz eigener Systeme forcieren. Am Ende werden kommerzielle Transaktionen mit hohem Volumen nur zwischen künstlichen Intelligenzen ausgehandelt werden. Soweit die Vision.
Sollte uns als menschliche Verhandler diese Entwicklung Angst machen? Nicht zwangsläufig. Besser wäre es, sich eine konstruktive Strategie für den Umgang mit dieser Entwicklung zu überlegen. Wie bereits erwähnt hängt, alles davon ab, mit welchem Ziel die KI programmiert wird. Wenn beide Seiten von einer Verhandlungs-KI profitieren, werden Verhandlungen in Zukunft weltweit qualitativ viel hochwertiger werden.
Künstliche Intelligenz könnte in den Verhandlungen auf verschiedene Weise genutzt werden. Zunächst wird die Verwendung von KI das eigene Verhandeln verbessern und beschleunigen. Denn die Verfügbarkeit großer Datenmengen und die intelligente Verknüpfung von Informationen bieten die Möglichkeit einer umfassenden Vorbereitung.
Zusätzlich könnte KI von einer oder beiden Parteien während der tatsächlichen Interaktion verwendet werden, um ihre eigenen Argumente mit Standards (Fakten, Zahlen, Studien, etc.) zu untermauern. Eine Verhandlungs-KI könnte darüber hinaus mit mehreren Parteien gleichzeitig verhandeln, was zu einer erheblichen Reduzierung der Interaktionszeit führen würde. Auch die komplette Dokumentation einer Verhandlung würde stark vereinfacht werden. Die gesamten Verhandlungssitzungen könnten aufgezeichnet und für Dokumentations- und Evaluationszwecke gespeichert werden. Alle ausgetauschten Dokumente, Dateien, Notizen, E-Mails usw. können automatisch von der künstlichen Intelligenz archiviert werden. Dies würde zu einem allgemeinen Anstieg des Verhandlungswissens im gesamten Unternehmen führen.
Bleiben wir bei dem oben erwähnten Beispiel: einer kommerzieller Verhandlung zwischen der Einkaufsabteilung der Firma A und der Verkaufsabteilung der Firma B. Beide Unternehmen führen immer am Jahresende eine große Verhandlung mit mehreren Runden durch. Darin legen sie Prämissen wie Einsparungen, Kostensenkungen, Lieferzeiten, Qualitätslevel etc. für das kommende Jahr fest. Sollten Einkaufsabteilung A und Verkaufsabteilung B künstliche Intelligenz zur Vorbereitung einsetzen, würde das System eine enorme Menge an Informationen bereitgestellt bekommen. Es wird in der Lage sein, diese zu kombinieren und aus den vergangenen Interaktionen und Abschlüssen zu lernen. Es wird leicht sein, Informationen vorzubereiten wie:
Diese Daten machen die eigene Vorbereitung effizienter und einfacher. Außerdem könnten sie sogar dazu verwendet werden, Annahmen über die Wünsche und Bedürfnisse des anderen Unternehmens zu treffen. Kombiniert mit
könnte die KI nicht nur auf der Faktenebene, sondern auch auf der persönlichen und der prozessualen Ebene zur Vorbereitung genutzt werden. Die KI könnte eine Vorbereitungs-Checkliste selbstständig weiterentwickeln und mit dem menschlichen Kollegen optimal für die bevorstehende Verhandlung trainieren.
Die Interaktion zwischen Mensch und (intelligenter) Maschine ist ein Forschungsschwerpunkt vieler Universitäten und Unternehmen weltweit. Auch wenn ein solches System mehrwertstiftend für alle Parteien programmiert wurde, kann es von Menschen dennoch als Bedrohung empfunden werden – vor allem in Verhandlungssituationen. Es könnte passieren, dass Menschen unbewusst eine feindselige Haltung gegenüber der KI einnehmen, zum Beispiel weil sie sich der Maschine nicht gewachsen fühlen und deshalb die eigene Verhandlungsposition als schwach empfinden. Andere Menschen könnten ein nichtmenschliches Gegenüber am Verhandlungstisch als Beleidigung auffassen und den Verhandlungstisch verlassen, obwohl ein guter Deal möglich gewesen wäre.
Wir bei ISMAN & Partner haben letztes Jahr ein Forschungsprojekt zum Thema „Wie würde eine Verhandlung zwischen einem Menschen und einer künstlichen Intelligenz aussehen?“ konzipiert. Die Forschung zielt darauf ab, verschiedene Aspekte genauer zu untersuchen:
Die Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt sollen dazu genutzt werden, Menschen auf Verhandlungen mit künstliche Intelligenzen vorzubereiten, aber auch um KI-Systemen beizubringen, mit Menschen fair und gerecht zu verhandeln. Denn nur wenn Menschen nicht von solchen Verhandlungen abgeschreckt werden und künstliche Intelligenzen den Mehrwert beider Verhandlungsparteien maximieren, kann sich etwas Gutes daraus entwickeln und die allgemeine Qualität von Verhandlungen verbessert werden.