Als Kind wurde die Welt einfach in Gut und Böse aufgeteilt: Tom und Jerry, Rotkäppchen und der böse Wolf, Dortmund gegen Bayern. Aber das sind Märchen – jedenfalls teilweise. Als Erwachsene wissen wir das eigentlich. Schließlich taugt der kindliche Ansatz, die Welt in Gut und Böse einzuordnen, weder für das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben noch für die Bewältigung einfacher Konflikte. Trotzdem beherrschen oft Grabenkämpfe unseren Arbeitsalltag. Zum Beispiel der zwischen Verkäufern und Einkäufern in Unternehmen.
Durch meine Arbeit mit beiden Berufsgruppen habe ich oft festgestellt, wie sehr bei Verhandlungen der Wunsch des Gewinnens vorherrscht, beziehungsweise des maximalen Herausziehens für sich selbst. Sogar in Situationen, in denen der Mehrwert einer Zusammenarbeit von beiden Seiten eindeutig erkannt worden ist, wollte man dem anderen so wenig von diesem Mehrwert zugestehen wie möglich.
Auf den ersten Blick ist dieses Verhalten absolut menschlich und nachvollziehbar. Ein kooperativer Ansatz mag dagegen naiv oder träumerisch wirken. Doch das Streben ausschließlich nach dem eigenen Wohl vernichtet oft gute Ergebnisse, die durch Kooperation entstehen könnten. Außerdem sind Menschen emotionale Wesen. Wenn wir zum Beispiel im Nachgang einer Verhandlung erfahren, dass wir übervorteilt wurden, erleidet die Beziehung zum Verhandlungspartner einen Vertrauensverlust. Der vermeintliche Vorteil, den eine Person aus der Interaktion erzielt hat, wird also zum handfesten Problem sobald sich beide wieder begegnen.
Diese Gedanken waren der Grund, weshalb ich beide Berufsgruppen in der Studie „Stimmungsbild Verhandlungsführung in Deutschland“ miteinander verglichen habe. Ich wollte eine Indikation haben, ob meine Erfahrungen aus der Arbeit mit Verkäufern und Einkäufern nur Zufall waren, oder ob es Tendenzen für ein Verhaltensmuster gibt.
Die Verkäufer überdurchschnittlich (Frage 1: 88,9% im Vgl. zu 79,9%), die Einkäufer etwas weniger als der Durchschnitt (70%). Dadurch werden einige Klischees tendenziell bestätigt: der Sales Representative, der versucht alles an den Mann zu bringen was er kann. Und der Einkäufer, der jobbedingt verhandeln muss, auch wenn es nicht seine größte Stärke ist oder ihm teilweise die Hände gebunden sind – beispielsweise aufgrund unternehmensinterner Regulationen, Guidelines und Zwänge.
Doch wie sieht es mit dem Schaffen von gemeinsamem Mehrwert und dem fairen Aufteilen dessen aus?
Die Studie beinhaltet ein Beispiel, in dem leicht der Mehrwert einer Kooperation hätte berechnet werden können (Frage 3: „Flugkosten“). Es geht darum, dass zwei Standorte desselben Unternehmens einen externen Redner gebucht haben. Der Redner plant eine Rundreise ein, um an beiden Standorten reden zu können. Durch die Rundreise spart das Unternehmen 1.000 Euro im Vergleich zu jeweils zwei Hin- und Rückflügen. Die Standortleiter sollen die Kosten der Flüge nun unter sich aufteilen. Die Frage ist nur, in welchem Verhältnis? Ein Standort liegt näher am Heimatort des Redners als der andere, weshalb sich die Kosten der einzelnen Flüge stark unterscheiden.
Eigentlich wäre es nicht schwer gewesen, den gemeinsam geschaffenen Mehrwert von 1.000 Euro hälftig von den Kosten abzuziehen, die für jeden Standort entstanden wären, wenn der Redner keine Rundreise eingeplant hätte. So hätten beide Seiten von der Rundreise profitiert. Diese Option wurde von allen Befragten, unabhängig von der Berufsgruppe, am seltensten gewählt (3,4%). Dieser Wert entspricht in etwa auch dem der Verkäufer bei dieser Antwortoption. Die Einkäufer haben diese Option jedoch gar nicht gewählt. Die Gründe dafür können sehr vielfältig sein: die Frage wurde nicht verstanden, die Teilnehmer haben sich nicht genug Zeit beim Beantworten genommen oder es fehlte schlichtweg das Verhandlungs-Know-how dafür.
Es könnte aber auch daran liegen, dass – obwohl der Mehrwert erkannt wurde – man den Mehrwert nicht fair aufteilen wollte. Ich habe das Beispiel oft in meiner Arbeit mit verschiedenen Berufsgruppen verwendet. Nicht selten haben, zuletzt eine Gruppe von Einkäufern aus neun Ländern, die Personen einfach mehr für sich gewollt. „Wir sind ja schließlich das größere Unternehmen“, oder „Wir sind ja Einkäufer“, oder „Ich wollte ihn einfach ein wenig über den Tisch ziehen. Wieso soll er das Gleiche bekommen wie ich?“ waren Antworten, die auf meine Frage nach dem Grund des Handelns genannt wurden.
Genau hier liegt aber ein fundamentaler Denkfehler. Denn jede verhandelnde Seite glaubt, ihr stehe der größere Teil des Kuchens zu und jede Seite wird mit Sicherheit gute Argumente für ihre Position finden. Damit beginnt ein hin und her feilschen, das meistens zu einem schlechten Kompromiss führt.
Dies spiegelt sich auch in der Beantwortung der Flugkosten-Frage wieder. 74% der Verkäufer und 70% der Einkäufer streben eine der 50:50-Antwortoptionen an. In beiden Fällen müsste eine Seite eine unattraktive Lösung akzeptieren. Denn eine hälftige Aufteilung erscheint nur auf den ersten Blick attraktiv. Selbst wenn die nachgebende Seite in der Verhandlungssituation ein Entscheidungsmandat besäße und dem Deal zustimmen würde, wäre das Risiko groß, dass der Entscheider im Nachgang feststellt, dass er mehr hätte rausholen können und dass der andere von ihm profitiert hat. Beim nächsten Mal wird er der Gegenseite automatisch weniger wohl gesonnen sein.
Die Unfähigkeit, optimale Verhandlungsergebnisse zu erzielen ist insofern besonders bedauerlich, da beide Berufsgruppen bei weitem ein überdurchschnittliches Verhandlungswissen aufweisen.
Sowohl bei der Kenntnis der Verhandlungsphasen (Frage 6), wie auch bei den Aspekten einer umfassenden Vorbereitung (Frage 7), bei der Bedeutung von Evaluation und Dokumentation (Frage 8) und bei der Vorbereitung auf das Gegenüber (Frage 12).
Die Diskrepanz zwischen „Wissen, was zu tun wäre“ und dem tatsächlichen Handeln in einer Verhandlungssituation führt dazu, dass überdurchschnittlich viele Verkäufer (Frage 10: 11,1% im Vergleich zum Durchschnitt 7,3%) und Einkäufer (20%) basarähnliche Verhandlungen führen. Eine weitere Folge ist, dass 50% der Verkäufer und 37,5% der Einkäufer das Gefühl haben, dass „mehr drin gewesen wäre“ (Frage 11).
Beide Berufsgruppen sehen Macht als einen besonderen Aspekt in Verhandlungen (Mittelwert Verkäufer: 68,7% und Mittelwert der Einkäufer 77,9% vs. Mittelwert gesamt 67,5%). Machtasymmetrien spielen in der Tat eine wichtige Rolle in Verhandlungen und Macht kann sich aus ganz unterschiedlichen Quellen speisen. Aus meinem Arbeitsalltag mit beiden Gruppen kristallisieren sich aber auch zwei damit verbundene Sachverhalte heraus:
Einkäufer fühlen sich in vielen Branchen am längeren Hebel und in einer machtvolleren Position, weil sie meistens zwischen mehreren Lieferanten für ihr Produkt wählen können. Zieht man jedoch die bei einem Wechsel anfallenden Opportunitätskosten in Betracht, scheint ein Anbieterwechsel gar nicht immer die attraktivere Lösung zu sein. In manchen Branchen ist es zum Beispiel Usus, dass sobald Unternehmen A den Lieferanten wechseln möchte, diese Entscheidung durch den Kunden des Unternehmens freigeben werden muss. Viele Lieferanten scheinen jedoch das Machtgebaren von Einkäufern einfach hinzunehmen.
Dieses Verhalten führt wohl dazu, dass lediglich etwa die Hälfte beider Berufsgruppen Spaß am Verhandeln hat (Frage 19). Bei Personen, die berufsbedingt verhandeln ist das zu wenig. Sobald beide Seiten anfangen, stärker mehrwert- und konsensorientiert zu handeln, werden sie die Freude daran wiederfinden. Das nötige Wissen dafür ist größtenteils schon vorhanden. Es muss lediglich geübt, angewendet und reflektiert werden.