Mitte der 80er Jahre richtete sich der Fokus sozialpsychologischer Forschung auf sogenannte positive Illusionen. Dazu gehören die übermäßig positive Wahrnehmung des Selbst, der unrealistischer Optimismus, die Illusion der Kontrolle und die selbstgerechten Zuschreibungen. Alle vier Motivation-Verzerrungen sind für Verhandlungssituationen mindestens genauso wichtig wie kognitive Verzerrungen. Dem Thema des übersteigertem Selbstvertrauen haben wir uns bereits gewidmet.
Wir als Individuen tendieren dazu, unsere eigenen Fähigkeiten zu überschätzen. Ganz wie der vom Glück verfolgte Gustav Gans aus Entenhausen. Die Selbstüberschätzung betrifft unseren Grad an Ehrlichkeit, unsere Fähigkeit zur Kooperation, unsere Rationalität, unsere Fähigkeit gut zu verhandeln, aber auch unsere Intelligenz, Gesundheit und … Fahrkünste. Mal ganz ehrlich, Sie sind bestimmt ein besserer Autofahrer als der Durchschnitt der Bevölkerung, oder?!
Die übermäßige positive Wahrnehmung des Selbst tritt oft in Verbindung mit unrealistischem Optimismus auf. Also mit der Tendenz anzunehmen, dass unsere Zukunft besser sein wird, als die anderer Personen. Forscher fanden beispielsweise heraus, dass wir an dem Glauben festhalten, dass wir in einem einzigen Tag mehr schaffen können, als es de facto möglich ist. Und wir ignorieren beharrlich das „Feedback der Realität“, die uns eindeutig die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit aufzeigt. Diejenigen, die sich ellenlange, tägliche ToDo-Listen machen, wissen ganz genau wovon ich rede. Eine Studie aus dem Jahr 1991 belegt, dass die übermäßige positive Wahrnehmung des Selbst auch in Verhandlungssituationen auftritt. In der Studie wurden MBA Studenten gebeten, die Ergebnisse einer bevorstehenden Verhandlung zu schätzen. Ganze 68% waren der Meinung, dass ihre Ergebnisse in den oberen 25% aller teilnehmenden Verhandler liegen werden. Statistisch ist das unmöglich.
Wir verfallen ebenfalls dem Glauben unkontrollierbare Ereignisse kontrollieren zu können und überschätzen die Auswirkungen der eigenen Handlungen auf ein bestimmtes Ergebnis. Verhandler denken sie hätten mehr Einfluss auf das Verhalten des Gegenübers, auf das Timing und auf die Rahmenbedingungen der Verhandlung als sie es tatsächlich haben. Daraus entstehen in der Regel Aberglaube und seltsame Routinen (das Tragen eines bestimmten Kleidungsstücks, unterschiedliche Rituale in der Vorbereitung, oder bei Glücksspielern der Glaube, dass ein zärtliches Werfen der Würfel eher niedrige Zahlen hervorbringt).
Selbstgerechte Zuschreibungen treten dann auf, wenn wir die Ursachen einer bestimmten Situation erklären müssen. Wir tendieren dazu, uns einen überproportional großen Anteil am Erfolg einer bestimmten Handlung zuzuschreiben, als wir es bei einem Scheitern tun. Wenn Verhandler ein gutes Ergebnis erzielen, zählen sie eine Vielzahl von Gründen auf, die in ihrer Person liegen. Bei gescheiterten Verhandlungen sind oft situative Rahmenbedingungen schuld. Die Gründe für das Scheitern werden bei anderen Sachen oder Personen gesucht. Dadurch reduzieren wir aber den Anreiz, das eigene Verhalten anzupassen und die eigene Lösungskompetenz zu stärken. Dieses Verhalten merkt man beispielsweise bei der Frage nach den Ursachen der Klimaerwärmung. Westliche Staaten werfen Entwicklungsländern vor, das Abholzen des Regenwaldes und die Überbevölkerung seine die wichtigsten Treiber. Diese Länder erwidern, dass die Industrialisierung und der exzessive Konsum die wichtigsten Gründe darstellen. Wobei eigentlich alle vier genannten Gründe Treiber der Entwicklung sind. Vielleicht außer in den Augen der Trump Administration.
Auch beim Urteilen über andere Individuen verfallen wir oft positiver Illusionen. Menschen tendieren dazu, Andere die erfolgreicher als sie es sind zu verunglimpfen. Sind beispielsweise andere Verhandler in der Lage bessere Ergebnisse zu erzielen, so schreiben wir diese Erfolge umethischer Taktiken, fragwürdiger Praktiken und Anreizen und selbstsüchtigem Verhalten zu. Studien belegen, dass sobald sich Verhandler in bestimmten Kriterien als besser als der Rest einstufen, sie in den gleichen Kriterien die restlichen Verhandler als schlechter als der Durchschnitt einstufen.
Eine gehörige Portion Selbstvertrauen kann ja schließlich auch dem ganzen Verhandlungsprozess den notwendigen Kick geben. Ohne diese positiven Illusionen gebe es schließlich keine Unternehmer, die Risiken eingehen. Positive Illusionen helfen Menschen an eine gerechte Welt zu glauben, der Meinung zu sein, das Meiste in ihrem Leben kontrollieren zu können und optimistisch jedem Tag entgegen zu blicken.
Dies ist zwar korrekt, aber die damit verbundenen Nachteile überwiegen in den meisten Verhandlungssituationen. Verhandler die die eigenen Fähigkeiten überschätzen und die des Gegenübers gering schätzen, weisen Schwierigkeiten auf, die Perspektive ihres Verhandlungspartners zu verstehen und wertzuschätzen. Sie haben stets das Gefühl mehr als die andere Partei getan zu haben und dem Gegenüber stärker entgegen gekommen zu sein. Die Wahrscheinlichkeit eines Nullsummenspiels ist hoch, selbst wenn ein objektiver Verhandlungsspielraum besteht. Wenn die Einigung scheitert, lag es in der Regel am Anderen, an der Situation oder an anderen Rahmenbedingungen. Wenn die Stärke der eigenen Position überschätzt wird platzen Deals, Konflikte entstehen, oder Länder ziehen gegeneinander in den Krieg.