In Wirtschaft und Forschung waren viele, äußerst unterschiedliche Aspekte von Verhandlungen im Fokus. Dabei wurde Fairness lange Zeit nachlässig behandelt – obwohl dieses Thema von großer Bedeutung ist. Denn wenn wir von Fairness reden, versteht darunter jeder Mensch etwas anderes. Was fair und was unfair ist, unterliegt höchster Subjektivität. Was für mich fair ist, mag für Sie schon unfair sein. Fest steht allein, dass am Ende jeder Vereinbarung alle das Ergebnis auf Fairness prüfen.
Angenommen, Sie besitzen gemeinsam mit einem Geschäftspartner eine Firma. Sie beide verstehen sich gut, die Geschäfte laufen seit Jahren hervorragend, doch eigentlich möchten Sie beide etwas anderes tun. Also entschließen Sie sich, die Firma zu verkaufen. Als Sie beide die Firma aufgebaut haben, hat Ihr Geschäftspartner doppelt so viel Zeit investiert wie Sie, da Sie noch Vollzeit einer anderen Arbeit nachgehen mussten, um Ihre Familie zu ernähren. Ihr Geschäftspartner war und ist finanziell unabhängig, ist Single und wurde nominell für die Zeit, die er zusätzlich investiert hat, entschädigt. Der Gewinn aus dem Unternehmensverkauf wäre für Ihren Geschäftspartner ein nettes Zubrot, Sie benötigen ihn jedoch dringend. Wie teilen Sie den Gewinn aus dem Verkauf auf? Welche Lösung wäre fair?
Gleichheit (in diesem Fall eine 50-50-Teilung des Gewinns), Gerechtigkeit (eine Aufteilung im Verhältnis zum Input, die Ihren Partner begünstigen würde) und Bedürfnis (eine Teilung, die Sie und Ihre Familie bevorzugen würde).
Der Psychologe D. Messick hat herausgefunden, dass Menschen häufig unter diesen Fairness-Normen wählen, und zwar abhängig von der Ausprägung ihres jeweiligen selbstsüchtigen Verlangens nach mehr. Das heißt, unsere Gier bestimmt, wie wir Fairness in einer bestimmten Situation definieren.
Wenn Sie Ihr Geschäft aufteilen, könnten Sie versucht sein, die Bedürfnisse Ihrer Familie stärker zu gewichten und den Zeit- und Energieeinsatz Ihres Partners zu vernachlässigen. Ihr Partner wird die Situation selbstverständlich genau gegensätzlich sehen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie beide im Streit auseinandergehen.
Prof. M.H. Bazermann (Harvard) fand heraus, dass professionelle Schlichter eine vierte Fairness-Dimension zu Rate ziehen: den Status quo beizubehalten. Viele Organisationen lösen Konflikte, indem sie sich radikalen Veränderungen widersetzen. Ihr jährlicher Bonus zum Beispiel stellt vermutlich einen prozentualen Anstieg gegenüber dem Gehalt des letzten Jahres dar – dabei ist die letztjährige Gehaltssumme der Status quo. Was aber, wenn Ihr Gehalt des letzten Jahres nicht fair war? Dann hat die Organisation einfach eine vergangene Ungerechtigkeit institutionalisiert.
In Verhandlungen sollten Sie das Thema Fairness immer zu Beginn ansprechen. Früh im Prozess die Fragen „Wann wäre eine getroffene Vereinbarung für Sie fair? Woran würden Sie das festmachen?“ zu diskutieren, kann Ihnen viel Ärger gegen Ende der Verhandlung ersparen. Außerdem beweisen Sie damit Weitblick und ein ehrliches Interesse an einer für beide Seiten tragfähigen Lösung.